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Joachim Giebelhausen zum 90sten - 1.4.2016

Heiße Eisen packt man an!

Zur Lesung aus seinem literarischen Werk


Zu diesem facettenreichen Leseabend gibt es diese Kurzfassung für Eilige und eine ausführlichere Version für Genussleser
hier.

Gibt es überhaupt ein Thema, zu dem Joachim Giebelhausen sich noch keine Gedanken gemacht hat? So wird sich der aufmerksame Zuhörer gefragt haben, der zur Nonsens-Lesung des Landsberger Autorenkreises anlässlich Joachim Giebelhausens 90. Geburtstag ins Café FilmBühne gekommen war. Moderator Helmut Glatz wunderte sich selbst, was Giebelhausen in seinen fünf seit 2008 geschriebenen Büchern an scheinbar Unsinnigem von sich gegeben hat.

Bernd Kittlinger hob ein paar Schlaglichter aus Giebelhausens bewegtem Leben heraus: Kindheit in Düsseldorf, vom jungen Soldaten mit Beinprothese zum Bühnenbildner bei Kirchhoff, 25 Bühnenstücke in drei Jahren ausgestattet, mit einem namhaften Fotoverleger für Leica und Linhof tätig, Chefredakteur der Zeitschrift „Großbild-Technik“, Herausgeber vieler Foto-Fachbücher, selbständig mit Trickfilmstudios am Ammersee und in Honsolgen – und langjährig aktiv in Künstlergilde und Autorenkreis. Sein hier produzierter Nonsens sollte „nichts anderes, als den Boden umpflügen, ihn aufnahmefähig machen für eine neue Saat, die einen vorbereiteten Acker braucht, nicht mehr durchsetzt ist mit intellektuellem Unkraut“, so der Autor selbst.

Carmen B. Kraus stellte Giebelhausens Buch „Capriccios“ (2011) vor. Seine Geschichten sorgten tatsächlich den ganzen Abend für Auflockerung, seien es nun die eruptiv sinternden Überlegungen aus der Universität Klippstein, bei denen sich schon früh sein Hang zum Zündeln offenbart, oder die in üppige Wortkonstrukte gebettete „lamoriant“ distinguierte Gesellschaft im schillernden Spiegelkabinett, die „graziell tändelnd“ ihrem eigenen Untergang entgegenglitzert.

Lore Kienzl las „Neues aus Brimborium“ (2008), ein Buch mit Holzschnitten zu einer selbst geschaffenen Fauna „für Bewohner poesiearmer Zonen“: Anarchische Zwergtrottel überleben dort dank dem Saft der Diplomatenkiefer, die grinsende Humoreske bevorzugt Plattitüdenbäume, und das Moralodil wurde dank Unmoral bis heute am Leben erhalten.

Man sollte meinen, dass vor allem jene die Texte genossen, die sie zum ersten Mal hörten, doch ein Blick in das Gesicht ihres Autors belehrte uns eines Besseren: Mit Verzücken lauschte er in der ungewohnten Rolle des Zuhörers seinen eigenen literarischen Kapriolen. Und derer gab es noch genug.

Heidenore Glatz brachte das Buch „Auf der Guillotine ist das Telefonieren mit Handy verboten!“ (2008) ins Spiel: wiedergewonnene Lebenszeit durch Kopfstand vor der Sanduhr, eine hochreligiöse Taxifahrt mit einem ungläubigen Theologiestudenten und die Wandlung eines Linkshänders zum Rechtsanwalt, dessen gelinkter Unterschrift keiner mehr vertraute. Mit von Herzen kommenden und zu ebensolchem gehenden Versen überraschte die rührige Vorleserin den Jubilar.

Giebelhausens „Collagen“ (2012) stellte Renate Exsz vor. Das Buch ist irgendwo zwischen Kunst, Literatur und Bastelanleitung angesiedelt. Aus unzähligen Zeitungsschnipseln hat der ungebrochen Kreative verblüffenden Schau- und Lesestoff zusammengeklebt: Wie sie da glänzten, die drei Millionen Euro, die am Rastplatz Mordshausen zu hinterlegen waren! Von musizierenden Giraffen las sie, von verglühten Träumen und der Denkfabrik bebrillter Eierköpfe, wo es doch nur um Bamm geht.

Nonsens, gewiss, gab Moderator Helmut Glatz zu bedenken, aber zunehmend wird Giebelhausen philosophischer. Das fand Max Dietz in den „Göttlichen Notizen“ (2014) bestätigt. Wie gut, dass der Autor seine Nase immer tiefer ins Universum steckte – bis in den Papierkorb des Allmächtigen. Was stand auf dem Zettel? „Nicht vergessen: Adam erschaffen“. Das hatte Gott getan – und der missglückten Kreatur schleunigst eine Ev.A., eine eventuelle Alternative, hinterhergeformt. Doch haben die beiden es inzwischen geschafft, paradiesisches Dasein gegen eine kaputte Welt einzutauschen.

„Kunst aus Flammen“ (2015) stellte Moderator Helmut Glatz selbst vor – mit einem eigenen Gedicht zum Werdegang des Buches: Giebelhausen „möchte, dass die ganze Welt in Flammen steht, nein, nicht im Großen, nur im Gartenbeet“. Denn genau dort hatten seine Frau Doris als Pyrotechnikerin und Bernd Kittlinger als Profi-Fotograf sich der kleinen Kunstwerke angenommen und damit ihren Erhalt für die Ewigkeit gesichert.

Für seine wundersamen Geschichten dankten die Autorenkollegen in einem Geburtstagsbuch, das dem Geehrten überreicht wurde. Und was ließ sich Joachim Giebelhausen Skurriles einfallen? Majestätisch trug er in latinisiertem Deutsch-Englisch vor: „Grazia, maxima grazia … lyrikes, prosanikes et satirikes … per reedens this Schmarrn!“ – ganz der große aufrechte Künstler, vom Leben zwar auf Rollstuhlhöhe zusammengefaltet, aber niemals in die Knie gezwungen. Heute von Ehefrau, Sohn und Tochter flankiert, gab er dann noch die jeweils dunkelste und hellste Stunde seines Lebens preis. Das erklärte, warum seine Texte auch bei überschwänglichstem Unfug immer einen ernsten Aspekt beinhalten, der jedem Respekt abverlangt.

Nach einer kurzen Pause wurden drei von Joachim Giebelhausens legendären Trickfilmen gezeigt: Der erste war „Weiche ins Traumland“, das Abenteuer einer Trix-Modelleisenbahn mit Prüfungen, die mit Mut, List und Klugheit bewältigt wurden. Angesichts der frühen Entstehung des Kurzfilms ohne jegliche computergestützte Beteiligung verwunderte die gekonnte Umsetzung in Bild und Ton immer wieder. Grundlage des Kurzfilms „Lok 1414 geht auf Urlaub“ bildeten Kinderzeichnungen. Eine alte Lok mit Burnout wollte einmal aus ihrem Leben ausbrechen, nur um dann zu erkennen, wie schön es daheim ist, wie angenehm der geregelte Alltag und die sinnvolle Tätigkeit. Die Botschaft könnte auch heute vielen helfen. 1978 hatte Playmobil bereits eine beachtliche Anzahl an Spielwelten geschaffen für seine wachsende Zielgruppe. In „Die Playmos kommen“ stellte Giebelhausen alle in einem einzigen Kurzfilm dar. Seine Geschichte um Reisen, Völkerverständigung und Hilfsbereitschaft ist auch 40 Jahre später noch aktuell.

Mit einem flotten „Good bye“, das er dem letzten Filmchen entlehnt hatte, wünschte Helmut Glatz den Anwesenden einen guten Heimweg. Es war spät geworden. Aber wen störte das? Man fühlte sich ausgeruht wie nach einem Wellness-Urlaub, gestärkt wie nach einem selbst bestandenen Abenteuer, auf jeden Fall „frisch gepflügt“ und bereit für die neuen Herausforderungen des Lebens. Wir werden sie nicht ganz so kreativ angehen wie unser Vorbild Joachim Giebelhausen, aber ein bisschen schwungvoller als bisher vielleicht schon …

Carmen B. Kraus