KunstSinn zur 25. Langen Kunstnacht - 20.9.2025
Nichts als Kunst im Sinn? Mitnichten!
Willkommener als sonst war die Ruhe bei der Langen Kunstnacht 2025 in Landsberg. Denn der laute Puls von 25 Jahren hatte sich ausgebreitet wie eine frenetische Welle und war auf den Infanterieplatz übergeschwappt, auf dem eine erfreulich zahlreiche Jugend lagerte. Harte Techno-Klänge donnerten an die Häuser der Altstadt, setzten sich über den breiten Lady-Herkomer-Steg fort und wummerten bis in die neuen Wohnblocks am Papierbach. Doch seltsamerweise verschlang das danebenstehende Kinogebäude fast völlig die Dröhnung und links daneben, im kleinen Café Bistro FilmBühne, war das Brüllen der Bässe nicht mehr als ein gerade noch wahrnehmbares Schnurren.
Hierher hatte zum wiederholten Male Frau Gilk den Landsberger Autorenkreis eingeladen, den vom Überfluss draußen Erschöpften eine ruhige Zeit zu bescheren. Bei einem kleinen Imbiss konnten sie bis zu zwei Stunden lang den Gedichten und Geschichten der Autoren aus Landsberg und Umgebung lauschen. Freilich nutzte das Angebot keiner völlig aus, man wollte da draußen ja möglichst wenig verpassen.
Nicht alles war sanft, was sie hier hörten. Wie die Kunst nun mal ist, so ist auch das Schreiben darüber: zuweilen hart an die Grenzen führend oder sie auch überschreitend. Da kann man dann den nächsten Leser schon mal auffordern: „Bitte diesmal etwas Lustiges!“ Die Vielfalt im Kreis macht es leicht möglich, aus einem Extrem ins andere zu wechseln.
Vielfalt ist dem Kreis auch im Künstlerischen gegeben: Während Barbara Koopmann, Martje Herzog-Grohmann, Rudolf Fichtl und Boris Schneider kleine Collagen, Gemälde und Zeichnungen im Café präsentierten, stellte Corinne Haberl mit dem KunstVerein Hinterglasbilder in der Säulenhalle und Lore Kienzl mit dem RBK Bronze, Raku und Zeichnungen im Historischen Rathaus aus.
Für Eilige:
Wer es kurz mag, lese nur die Absätze mit Fettdruck. – Es wäre aber schade …
KunstSinn oder was ist der Sinn in der Kunst? Schafft Kunst selbst Sinn? Braucht Kunst einen Sinn? Diese und andere Fragen hatte Barbara Koopmann vorab an die Autorenfreunde gestellt und ging zur Einführung auch für das Publikum darauf ein: Kunst als Teil des Ganzen in unserem Leben und sinnliche Wahrnehmung der Bildsprache, Kunst als offener Spielraum für Interpretationen und Erweiterungsfeld für eigene Horizonte …
Daran knüpfte gleich der erste Beitrag an, als Martje Herzog-Grohmann Auszüge ihres allerersten Zeitungsbeitrags las. Es war der Artikel „Ein Poet der Verweigerung – Vlado Kristls Lyrischer Anarchismus“ in: Die Zeit vom 9.12.1977. Seltsam aktuell klang das: „Im anarchischen Einzelkampf versucht er, die Welt in Ordnung zu bringen oder wenigstens diejenigen, die in Reih und Glied gehen, von denjenigen abzusondern, die sich trauen, auszuscheren.“ Wie wünschenswert sind auch heute die, die „Mensch“ bleiben inmitten zunehmender Polarisierung.
Mit „Jeder Mensch ist ein Künstler“ erinnerte Barbara an Joseph Beuys, der selbst die Konfrontation mit dem eigenen Ich nicht scheute. Auch Heiko D. Felbrici geht mutig damit um, wenn er im Gedicht „Anstand“ das scheinbar Verlorene aufzeigt, das oft von einem aufgebauschten „eigenen Ich“ verdeckt wird, das selbst angesichts von Leid und Elend nur auf die Neugier der Follower abzielt, statt zu helfen.
Rudolf Anton Fichtl malt auch mit Worten, wenn er in satirischer Lyrik „den Tobias beschreiben“ soll: „Er hat einen strohblonden Onkel in Mainz“, und „trinkt er, dreht er vollends durch“ und „schwärmt vom Westjordanland“. Wen wundert’s, titelte doch neulich das LT „Auch Affen konsumieren Alkohol“ … Jaja, „die Welt steckt voller Ähnlichkeiten“ und das musste mal gesagt, ach was, gesungen werden. Rudi machte es und begleitete sich gleich selbst an der Gitarre, sehr zur Freude des Publikums.
Dann wird es nochmal selbstkritisch, wenn Heiko „Die Falte“ in Reime packt und im Spiegelbild schmiert und knetet, zieht und drückt – man ahnt schon: ohne Erfolg –, jedoch „die Hoffnung streichelt mit“ bis zum Schluss: „Nimm’s leicht, mein Schatz“, denn eine Frau sei wie ein guter Wein: erst im Alter „zeigt er seine Würze, entwickelt seine Süße“. Und wenn es doch mal heftig knallt, ist auch dafür schon eine Lösung parat: „Nun ist es amtlich festgestellt, dass es uns an Prozenten fehlt: im linken Ohr schon 30!“
Da wurde es politisch, denn Rudi schnürte das Rentenkassenentlastungspaket mit schwarzem Humor und zog manch praktische Lösung aus dem Hut: „Wir haben die Oma einschläfern lassen …“ Doch gleich das Pudel-Nudel-Strudel-Gedicht nachgeschoben: „Obwohl ich reichlich prüde bin, geb ich mich dir als Rüde hin“ – und schon kam das stecken gebliebene Lachen auch beim Letzten wieder zutage.
Dr. Boris Schneider, der Fantasy-volle Biologe, stellte sein gezeichnetes „Trimedar“ auf den Tisch und hatte noch mehr Märchenhaftes dabei: einen ordentlich stinkenden Kobold, einen hüpfenden Dreckflummi, der sich glücklich in seiner Labbermatschpfütze trollt – bis eine Fee sich in den Kopf setzt, die Welt per Zauberstab zu verschönern: Blumenwiese und darin ein blitzsauberer Kobold mit Veilchenduft! Doch sie hat nicht mit der großen Macht eines kleinen Kobolds gerechnet …
Kraftvoll war auch die Geschichte von Klaus Wuchner, die Carmen Kraus aus der Anthologie „Zwischen den Toren“ vorlas, in der ein ganzes Kapitel sich dem Thema „Kunst und Künstler“ widmet. In „Kunsterlebnis“ erzählt Klaus die Geschichte eines geheimnisvollen Künstlers, der die Herzen der Aussteller, Besucher und Kritiker in London, Paris und nun New York im Sturm erobert hat. Von „der Ungeradigkeit, eingebettet in duftiger Farbigkeit“ schwärmten letztere. Moskau und Riad warteten auf die zehnte Auflage des Ausstellungskatalogs. Da wurde endlich dem Drängen der Journalisten nachgegeben und handverlesene Besucher mit verbundenen Augen zum malenden Künstler hingeflogen …
„Mir war, als wär ich Dichterich“, sinniert Heiko in „Rodeoreiten auf dem Hengst Pegasus“. „Wer es nicht kann, soll es nicht wagen?“ Ach was: Dichten ist doch keine Kunst! Oder?
Gutes Erzählen ist auch eine Kunst, zeigt uns Boris und versetzt die Zuhörer ins Bioreferat, bei dem es um ganz anderes geht: Eine Uhr verschwindet, Verdächtigungen kommen auf, selbsternannte Profiler mischen mit, bauschen Motive auf, doch der vermutete Delinquent ist keiner und der wahre Täter … nicht strafmündig.
Carmen Kraus liest Gedichte: Vom Kunstrausch, der die Farben sprudeln lässt und zarte Flügel mit grollendem Glockengeläut verbindet, „verwoben, verkartet, umrissen“, und ein neues Werk hervorbringt, das sich feurig „in deinen Augen“ niederlässt. Und vom Zeichner, der nur die Schatten skizziert, deren Tiefe das Leuchten unterstreicht, und seinem Pendant in zarter Lyrik, die mit wenigen Worten auskommt, dem Geist Kontur gibt und vom Leser oder Zuhörer mit Eigenem aufgefüllt wird. Und dann: wie das im Autorenkreis stattfindet, diesem „Treffen verwandter Kinder des Geistes, einzigartig ein jedes, im Herzen doch gleich“, die „erdichtete Welten“ schaffen „in Reimen und keinen“.
Da bringt auch schon Thomas Glatz seinen „Gregor Samsa“ ins Spiel, das kafkaeske Bild im Bild einer Frau, die einen Hund zeichnet, der eine Frau zeichnet, die … naja, Sie wissen schon. Angesichts von Georg Trenz’ wundervollen Projektionen auf der Rathausfassade, die der Lichtkünstler an diesem Abend zur Schau stellt, fragt sich hier der Autor: „Was ist Kunst?“ Das durch Kritiker Hochgelobte oder die Wahrheit, die im Auge des Betrachters liegt? Doch wie könnte ihm dieser Fremdkörper ins Auge geflogen sein?
Seine nächste Kurzgeschichte „Walfredo und der Denker“ handelt von einem, der das Lächeln der Mona Lisa pantomimisch ebenso darzustellen versteht wie Van Goghs Sonnenblumen, nur Rodins Denker will ihm nicht gelingen! Aber da ist ja noch „J. Kollwitz, der berühmte Zeichner“, da sind Kunstdichter Hoppenstiels Haiku-Verse und Richard Wagners „Lodengrün“, wirklich so: auch Richard, aber nicht Lohengrin und nicht Komponist. Nein, der andere ist’s, Ex-Mann der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und auch Banater Autor wie Johann Lippet, William Totok, Carmen Kraus ( :- ) und Anton Sterbling, Helmuth Frauendorfer. Und noch eine Richtigstellung: Es sind „keine Indianer bei Karl Marx“ zu finden.
Martje liest den letzten Teil des Artikels, über die Gemälde von Vlado Kristl: „Bei seinem ‚Explosionsstrauß‘ hat der Rahmen … mehrere Veränderungen erfahren. … Vor einigen Tagen trug er noch schwarze und graue Pinselstriche … so müssten die Liebhaber dieser Gemälde ihm die Bilder aus der Hand reißen, bevor er sie ganz schwarz übermalt.“ Ein Schelm, wer dabei an das geschredderte Ballonmädchen eines Banksy denkt.
Heiko reimt die „Stille Liebe“ zusammen zwischen einer Blume, die jeden Tag geküsst wird, und der Frau, die täglich mit ihr spricht, sodass die Blüte in zartem Rosa errötet neben den anderen, die alle weiß bleiben.
Carmen liest das Gedicht „Was ist Kunst?“ von Heidenore Glatz: „bewundern, erkunden, hinterfragen, erforschen, verstehen“ … „oder: vor dem Kunstwerk stehen, nicht verstehen, bald wieder gehen“?, um dann noch Eigenes anzuschließen, etwa „Erlebnis: Kunst“, in dem Konfuzius mahnt: „der Dumme meint, er weiß genug“, und der Ignorant beim Anblick der Kunst Betrug wittert. Später die Feststellung: „Wer Kunst erleben will, muss herzensoffen bleiben“, denn der Künstler ist es auch, „seine Vision denkt scharf ums Eck, die Norm kommt ihm abhanden“, und öffnet man sich selbst dem Wunder, macht es „die Seele munter“. Und dann „Dieser Drang“, über die Höhen und Tiefen zu schreiben: „Just nach draußen drängt mich vieles,/ vieles zieht mich schnell zurück,/ mittendrin hängt etwas Glück-/seligkeit – denn euch gefiel es!“
Ja, gefiel es denn? Denen, die länger geblieben sind, schon. Ein Kommen und Gehen ist es in der Langen Kunstnacht ohnehin überall. Und doch, so viele Besucher wie an diesem Abend waren es noch nie in einer Langen Kunstnacht im Café FilmBühne.
Rund 21 Autoren aus Landsberg und dem Umkreis sind im 21. Jahr seit seiner Gründung im Landsberger Autorenkreis aktiv. Einer von ihnen ganz neu, erst seit einigen Wochen dabei: Heiko D. Felbrici aus dem nahen Allgäu, dem der fröhliche Schlusspunkt dieses Abends mit dem Gedicht „Weibliche Eitelkeiten“ gelungen ist. Dieses der holden Seite der Menschheit immanente Gen treibt sie wiederholt zum Friseur – und wie es da zugeht! Denn, „die viel ratscht, erfährt auch mehr“ bis „das Dorf gänzlich durchgehechelt“ ist, doch auch die Stille, die „Das grüne Blatt“ liest, kommt auf ihre Kosten: King Charles, Tom Cruise und Alice Schwarzer heben von innen geistig die außen wachsende Lockenpracht. Nur der Spiegel zeigt noch Problemzonen, Falten, Haarborsten … „Nun ja, ihr Frauen aller Zeiten,/ mit kleinen, großen Oberweiten/ … mit Falten schon im Angesicht./ Wisst ihr was? Mich stört dies nicht!“
Er wird uns sein neues Buch zum Entspannen und Chillen gewiss vorstellen am 24. Oktober um 19 Uhr im Café FilmBühne. Und wer noch? Überraschung! Sie sind herzlich eingeladen, das selbst live herauszufinden. Dazu herzliche Einladung!
Text: Carmen B. Kraus
Fotos: die Autoren






