Gastlesung Reich und Großmann - 29.11.2024
„fortsetzung mit anderen mitteln“
Während gleich nebenan der frisch eröffnete Weihnachtsmarkt von Besuchern überquoll, erwartete die Zuhörenden beim Landsberger Autorenkreis am Freitag vor dem ersten Advent im Café FilmBühne anspruchsvolle, nicht wirklich vorweihnachtliche Kost.
Mit dem Gedicht „Frieden auf Erden“ seines verstorbenen Vaters, des Autorenkreisgründers Helmut Glatz, eröffnete Thomas Glatz die Gastlesung. Spätestens als am Ende der Frieden aus den zerschlissenen Kleidern fiel, war den Zuhörenden klar, dass sie die nächsten Stunden wenig Friedvolles, aber sehr wohl zum Nachdenken Anregendes hören würden.
Nach einer die Stimmung auflockernden, von KI geschriebenen, humorvollen Begrüßung, bei der Moderator ChatGPT auch andere Autoren des Kreises zu Wort kommen ließ, interviewte Thomas Glatz die beiden Lesenden kurz zu ihrem Projekt, das sie den Landsberger Kolleginnen und Kollegen vorstellen wollten.
„Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Dieses Zitat von Carl von Clausewitz war zugleich Ausgangs- und Endpunkt der lyrischen Reise von Ulf Großmann und Reinhard Reich.
Den aus Sachsen stammenden, heute im Fuchstal lebenden Großmann und den Münchner Übersetzer und Literaturvermittler Reich hatte der Zufall bei der Münchner Lyrikveranstaltung „Kooperationen“ zusammengewürfelt. Beide Lyriker, die sich bis dato nicht gekannten hatten, waren vor zwei Jahren vom Veranstalter „verkuppelt“ worden. In ihrer Themenwahl völlig frei, sollte ein etwa fünfminütiger gemeinsamer Beitrag erarbeitet und vorgetragen werden.
Weil damals gerade der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine seinen Anfang genommen hatte, einigte man sich auf das Thema Krieg. Das oben genannte Zitat planten sie „mit anderen Mitteln fortzusetzen“. Dazu schickte einer einige Zeilen per E-Mail, auf die der andere reagierte. Insgesamt konnten für den Vortrag bei „Kooperationen“ schließlich sieben Ebenen herausgearbeitet werden.
Das Thema ließ die Autoren jedoch auch danach nicht los, so dass sie weitere sechs bekannte Aussagen zu Krieg gemeinsam bearbeiteten, in Frage stellten, auf Herz und Nieren prüften. Bei ihrer gemeinsamen Arbeit wurden geografische Einflüsse, die aufgrund der Herkunft aus Ost und West bestanden, sowie vielzählige Gedanken zu Gewalt, wie beispielsweise den ‚Krieg in der Familie‘, beleuchtet. Am Ende stand schließlich das sieben mal sieben Gedankenebenen umfassende Langgedicht „fortsetzung mit anderen mitteln“.
Dieses trugen sie an diesem Abend in zwei Teilen mit einer Pause vor, wobei der Vortrag teils wort- oder zeilenweise wechselte, teils gemeinsam intoniert wurde. Dabei wurden Worte oder Silben des Anderen aufgenommen, verdreht, erweitert, umgekehrt oder verstärkt, bis sie zu jedem Zitat in sieben gemeinsamen Fragen gipfelten wie „Ist Traurigkeit, Mattigkeit, Niedrigkeit, Ängstlichkeit, Folgsamkeit, Grausamkeit, nicht Zärtlichkeit die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln?“
Der Vortrag hatte durch Unterteilung und Intonation etwas Liturgisches, mit dem die Wortspiele und Gedanken förmlich über die Zuhörenden hereinbrachen. Sprachgewaltig, teils verstörend, teils berührend, war das Auditorium vielfältig gefordert. Es war gut, dass man in der Pause und im Anschluss an die Lesung manche Aussage diskutieren und besprechen konnte. Insgesamt war es ein Abend mit einem einzigartigen Vortrag, wie ihn der Autorenkreis bislang noch nicht erlebt hatte.
Wer nun neugierig geworden ist: „fortsetzung mit anderen mitteln“ ist 2024 unter der ISBN 978-3-930654-75-8 beim renommierten BLACK INK-Verlag erschienen.
Die Anthologien und Bücher aus dem Landsberger Autorenkreis werden im Advent den Lesenden entgegengebracht: Am 19. Dezember sind sie ab 16 Uhr in der LechStadtHütte auf dem Landsberger Christkindlmarkt auf dem Roßmarkt (neben dem Kreisboten) zu erwerben. An Gemeinschaft interessierte Autoren und Zuhörer können am Stand einige unserer Mitglieder kennenlernen. Schauen Sie vorbei! Sie sind uns sehr willkommen!
Dr. Boris Schneider
Foto: Carmen Kraus