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RBK-Lesung - 3.9.2016

Welche Freude! Literatur zwischen Gemälden


Moderatorin Lore Kienzl hatte die Mitglieder des Landsberger Autorenkreises dazu aufgerufen, ihre Lieblingstexte zu lesen. Mit Schillers „Freude – schöner Götterfunken“ leitete sie die Lesung in der Säulenhalle ein, die bei der Jahresausstellung des RBK stattfand. Silvia Großkopf, die Vorsitzende des Regionalverbandes Bildender Künstler Oberbayern West e.V., begrüßte herzlich die befreundeten Autoren. Alina Triebenbacher und ihr Lehrer Nikolaus Hartl steuerten eine weitere Komponente der Freude bei: Das junge Talent an der Steirischen und der erfahrene Meister an der Gitarre sorgten für musikalischen Funkenflug. Im Dreieck aus bildender Kunst, Musik und Literatur fühlten sich rund 40 Besucher gut aufgehoben in den Nachmittagsstunden dieses Spätsommersonntags in Landsberg.

Das Los bestimmte Klaus Wuchner zum Erstleser, dessen Sehschwäche ihn wieder Respektpunkte von seinen Kommilitonen einheimsen ließ, als er das memorierte Gedicht „Was mir Freude macht“ mit fester Stimme vortrug. Darin bestand er darauf, auch dann noch zu schmunzeln, wenn andere längst die Stirn runzeln, leistete er sich doch den Luxus, sein Leben in geistiger Freiheit selbst zu gestalten.

Max Dietz zeigte in seinem Gedicht, wie uns bis heute Baudelaires „L’invitation au voyage“ anrührt, wenn der Glanz feuchter Sonnen hinter den Tränen schimmert und die orientale Pracht mit heimatlich zarter Zunge zur Seele spricht. In einer Reihe von Aphorismen griff er augenzwinkernd christliche, kräftige und wahrheitsgetreue Themen aus „der Welten Firlefänze“ auf. Seine lyrisch ausgefeilte Bewunderung für Konstantin Weckers Lebenslauf, in dem immer wieder der Menschenliebe Glut aufglimmt, enthüllte er dann schneller, als man glaubte.

Nach einem musikalischen Zwischenspiel rollte Joachim Giebelhausen an. Unterstützt von seiner Frau Doris las er den irrwitzigen Dialog einer Wegbeschreibung zum Pulsatorium – durch die Rue Delirium zum Potemkinschen Konsulat, entlang der Baustelle bei der alten Synopsis, vorbei an der Agonie-Statue des Künstlers Cemento Mori und dem Palais Busento … man genoss die Skurrilitäten, für die der Nonsens-Meister sich ausgiebig eines reichhaltigen Brainstormings bedient hatte.

„Einfach leben“ hieß Hannelore Warreyn dafür die Zuhörer, also zusammen schweigen und reden und streiten, das Leben mit Freude und Lachen würzen auf dem Weg zum Brunnen der Liebe. Und wenn er es nur will, dann hört er, was sie ihm sagt und versteht sie sogar. Manchmal aber sei die Scheidung die letzte Möglichkeit, nicht mehr Schwarz zu sehen – zumindest in der Ehe mit einem Schornsteinfeger.

Petra Hinterstößer ließ daraufhin so lange einen literarischen Sturm über ihr zartes Bäumchen fegen, bis es brach. Zumindest gewann es dadurch an Einsicht, was sich auch im Betrachten der „Hälfte im Glas“ niederschlug, die man bis zur Neige genießen kann statt sie schlechtzureden. In einem weiteren zarten Gedicht verweigerte sie sich dem hohen Wegzoll und ließ den Tag kommen, an dem sie Sehnsucht und Tränen abgab und Frieden fand.

Die Munti-Polka beschwingte die Zuhörer grade recht zur Pause, bis ein Landler sie wieder zu weiterem Hörgenuss abholte.

An dem warmen Tag konnte man es sich kaum vorstellen, dass die Füße auch mal kalt sein würden, doch Marianne Porsche-Rohrer stürzte das Publikum in Voraussicht kühlerer Zeiten schon mal in ein Kneippsches Wechselbad, in dem neben den Füßen gleich auch die Lachmuskeln warm wurden. Zur Abendruhe gönnte sie sich dann jenen bewährten Duft, der Balsam für die Seele ist, und warb in flotten Reimen für Essen und Trinken mit Köpfchen, um Fleisch und Bier noch lange genüsslich zu konsumieren.

Der Meraner Walzer des Musikerduos schloss nahtlos die Südtiroler Törggele-Zeit daran an.

Nun fühlte Heidi Kjaer sich aufgefordert, ein Mundartstück beizutragen, in dem sie, die sich anderen zuliebe „frein sollt, ham’s gmoant“, doch zu gern ihren Grant pflegte – bis sie sich doch zu einem Lächeln hinreißen ließ, denn da „hob i mi gfreit, dass mir des ned passiert is“. Kämpferisch gab sie sich auch im zweiten Text: Warum sollte sie die Freude zur pauschalen, stets gegenwärtigen Situation erklären? Dann doch lieber ehrlich empfundene Schadenfreude.

Ein Lied, das Alina Triebenbacher aus Puchheim bereits beim Akkordeon-Weltfestival in Innsbruck gespielt hatte, riss die Zuhörer mit. Das anspruchsvolle Stück „Der Russische“ des Südtiroler Komponisten Herbert Pixner ließ die Steirische zuweilen klingen wie eine ganze Kapelle. Hörte man da nicht eindeutig die Tuba heraus? In eigenwillig-spontanen Rhythmenwechseln forderte er die Spielfertigkeit der Musikerin: mal langsam, dann wieder schnell flogen die Finger über die vielen Knöpfe, blähte sich der Balg und schloss leise die Wehmut der Taiga in der Kälte Sibiriens mit ein, um im nächsten Moment laut das Kosakenfeuer neu zu entfachen. Wenn es ein Stück gibt, das die ganze Seele jenes weiten Landes einfangen kann, dann dieses. Ganz allein saß die 13-Jährige mit ihrem Instrument da und bewältigte doch hervorragend diese fulminante Herausforderung, bewundert nicht nur vom Publikum, sondern auch von ihrem Lehrer.

Ebenfalls mit Asien hatte Roland Greißl seine Geschichte verknüpft, genauer gesagt mit dem indischen Hungerkünstler Prahlad Jani, der die Ärzteschaft verblüffte. Wie ein ganz normaler europäischer Durchschnittsmann in hundertprozentiger Hingabe an seinen Guru diese Askese ebenso schafft und welche Folgen sie in seinem und dem Leben seines Umfelds zeitigt, malte der Autor minutiös in orange wallenden Bildern aus.

Nun war die Zeit gekommen für die Löffel-Einlage von Nikolaus Hartl. Die Oberkrainer Feuerwehrpolka hatte den aufgeschlossenen Musiker zum Experimentieren mit Gerätschaften aus der Besteckschublade verlockt. Glücklicherweise ließ er sich bald vom Sinn des einteiligen Profi-Instrumentes überzeugen, so dass bei der Schnelligkeit der Rhythmen statt der Löffel nur fetzige Töne durch den Raum flogen.

Dadurch beschwingt, kam Carmen B. Kraus das Gedicht vom Musenknutschen noch leichter über die Lippen. Eine Herde fröhlicher Gedanken vor sich hertreibend, versuchte sie, die Flüchtigkeit dieses seligen Augenblicks festzuhalten, um dann zu erkennen, dass Freude meist spontan empfundener Freiheit entspringt. Mehr noch als ihre Wortakrobatik hielten bildende Künstler jene kurzlebige Freude fest, wovon sich alle in der umgebenden Ausstellung selbst überzeugen konnten, um neue Gedanken mitzunehmen ihn ihre alte Welt, wie sie im dritten Gedicht preisgab.

Ein musikalischer Galopp unterstrich ihre Gedanken, bevor es wieder ruhiger wurde.

Vom stillen Glück, einen guten Freund an der Hand zu haben, wusste Lore Kienzl. Sie fühlte sich dabei leicht, trotz aller Prägung durch der Väter altes Denken und der Mütter Seelenzwang. Von tapferem Mut geleitet zog sie denn auch hinaus, den Kommenden ein nachahmenswertes Vorbild in Gelassenheit und Willensstärke.

„Grüezi wohl, Frau Stirnimaa!“ spielten die beiden ungleichen Musiker das 47 Jahre alte Lied der Minstrels freudig lachend nach.

Fröhlich hörte sich auch der nächste Beitrag an, auch wenn er reichlich Gesellschaftskritik enthielt. Aus seinem jüngst erschienenen Buch mit Professor Mistelmiefs Ungereimtheiten präsentierte Helmut Glatz kuriose Erfindungen wie die Staufabrik, die natürlich Staus für alle Bedarfsfälle fabrizierte, und den Wagen mit eingebautem Parkplatz, der für den Nutzer recht angenehm war, die Städte aber an den Rand des Ruins trieb. Recht verwirrend war hingegen der Schilderwald mit seinem Unterholz aus Schildläusen und Schilderkröten, die einiges im Schilde führten, bis der Schilderhannes dem ein Ende bereitete, indem er mit ihnen Schildluder trieb.

Pünktlich um 18 Uhr endete der letzte Beitrag. Dem 90-jährigen Joachim Giebelhausen wurde aber noch eine Zugabezeit gewährt, um aus seinem Buch „Capriccios“ die Geschichte eines Automobilien-Kaufs zu Repräsentationszwecken zu lesen. Der violette XXL Super hatte nicht nur sieben Zylinder, sondern auch vier Rückwärtsgänge – weil ja fast alle Schadensfälle beim Vorwärtsfahren passierten und der neue Eigentümer deshalb vor allem die unfallfreien Gänge nutzen wollte.

Noch ein Landler, noch eine musikalische Zugabe … doch dann mussten sich alle damit abfinden, dass es vorbei war. Vorbei zwei Stunden vielfältiger Auseinandersetzung mit der Freude – im Schauen an den Wänden der Säulenhalle und im Hören der dargebotenen Texte und Musikstücke dazwischen. Schon zwei Wochen später, bei der Langen Kunstnacht am 17. September, geht der Landsberger Autorenkreis in die Verlängerung, in der Buchhandlung Osiander am Hauptplatz. Wer Nikolaus Hartl mit seinen Kapellen hören will, kann sich am 29. Oktober zum Konzert nach Eichenau begeben. Nein, festhalten kann man die Freude nicht, aber sie immer wieder aufs Neue finden und genießen.

Carmen B. Kraus