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Black Ink-Lesung - 27.5.2016

Lesung befreundeter Autoren aus dem Black Ink-Verl


Der Black Ink-Verlag, 1993 in Scheuring gegründet, ist einer der ungewöhnlichsten Verlage Deutschlands; seine kleinen, feinen Büchlein im Reclamheft-Format mit dem schwarzweißen Cover besitzen seit Langem Kultstatus. Aber so bescheiden sich der Verlag mit seinen Veröffentlichungen gibt – seine Autoren können eine stattliche Fülle von Preisen und Anerkennungen vorweisen. So war Nikolai Vogel unter anderem Teilnehmer am Ingeborg-Bachmann-Preis und Stipendiat des Literarischen Colloquiums in Berlin, Thomas Glatz Adressat des Literaturstipendiums des Bayerischen Kultusministeriums, Kilian Fitzpatrick zusammen mit Vogel Träger des Bayerischen Kunstförderpreises und – last but not least – des Kulturförderpreises des Landkreises Landsberg.

Mit dem Landsberger Autorenkreis sind die Black Ink-Autoren seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden, nicht zuletzt deshalb, weil einige von ihnen ihre Wurzeln im Landsberger Land haben. Und so war nicht verwunderlich, dass sich eine zahlreiche, interessierte Zuhörerschaft im Restaurant Il Lago di Garda eingefunden hatte, um den vielfältigen, spannenden Texten zu lauschen.

Den Anfang des Geschichtenmarathons machte der Münchner Altphilologe und Historiker Stephan Cramer mit einer bizarren Schulgeschichte, die wie eine heitere, historische Idylle beginnt, aber plötzlich eine erschreckende Aktualität gewinnt, nachdem man „Magister Rademacher“, dem Protagonisten der Geschichte, vorwirft, im Knabenseminar einem seiner Schützlinge zu nahe getreten zu sein.

Cramers zweite Geschichte beginnt ebenso harmlos: Jemand schiebt einen Kinderwagen über die Straße. Was aber aus diesem unverdächtigen Geschehen werden kann, wenn die Wagenräder blockieren, die Frau daheim Migräne hat und der „Fahrer“ einen schwarzen, migrationsverdächtigen Salafistenbart trägt, das wird auf herrlich-skurrile Weise geschildert.

Kilian Fitzpatrick, irisch-deutscher Autor und Komponist, der seinerzeit zusammen mit Nikolai Vogel den Verlag gründete, versetzt die Zuhörer in ein Lokal mit exquisiten Weinen, denen er ein geheimnisvolles Leben zuschreibt, und die er auf überraschende Weise mit Menschen vergleicht: Das Etikett ändert sich, gleich bleibt die Füllung der Flaschen.

In einer zweiten satirisch-surrealen Geschichte schildert Fitzpatrick den Besuch des Heiligen Nikolaus bei einem Psychiater, wobei er sich, auf der Couch liegend, bitter über die elch- und elfenschwangere Weihnachtsmann-Konkurrenz beklagt.

Nikolai Vogel, der als freier Autor und Künstler in München lebt, überraschte die Zuhörer mit seinen „großen, ungeordneten Aufzeichnungen (Detail)“: blitzartig aufleuchtende Bilder und Assoziationen von großer, poetischer Imaginationskraft, scheinbar wahllos aneinander gefügt, eine Art Patchwork menschlichen Lebens.

Im zweiten Durchgang las Vogel einen Auszug aus einem noch nicht veröffentlichten Roman. Er beschreibt darin einige Stunden aus dem Leben von Niklas, dem „Standvogel“, der daheim bleiben muss, während andere Urlaub machen, und dessen Arbeitsleben in seiner Normalität, Gleichförmigkeit und Langeweile immer hoffnungsloser und bedrückender wird: „Jeder Tastendruck vor dem Bildschirm ein Tröpfchen aus seiner Zeit-Gießkanne.“

Thomas Glatz, unter anderem auch Hörspielautor und Mitveranstalter der Lesebühne „Salzstangensalon“ in München – er moderierte den Abend –, las ein Kapitel aus seinem neuesten Miniroman: „Die übrige Zeit bis zum Bestimmungsort“. Frau O befindet sich auf dem Heimflug vom Urlaub. Der Blick aus dem Fenster auf die Wolken, auf die Landschaft, die wie ein Orientteppich unter ihr liegt, wird dabei zunehmend unschärfer und verwebt sich auf seltsame, poetische Weise mit ihren Gedanken und Träumen. „Wo liegt das Land der Geschwindigkeit?“

In seinem zweiten Text „Untermühlhausener Kuhschwanz“ kehrt Thomas Glatz in heimatliche Gefilde zurück. Aber es ist eine imaginäre Landschaft, die er schildert, seltsam fern und nah zugleich. Eine Aneinanderreihung poetischer Bilder, die an ein impressionistisches Gemälde erinnern.

Zwei Stunden Literatur – und kein bisschen langweilig!, so mag sich mancher Zuhörer gedacht haben, als er nachher in die warme Frühlingsnacht hinaustrat, deren Himmel diesmal voller Geschichten hing.

Helmut Glatz