Rezension
„Das Kribbeln beim Bestatten dicker Dänen“ – Satirische Lyrik
Bereits der Titel verrät die Absicht des Autors eindeutig: Es gibt keine Tabu-Themen, gibt nichts, was „zu doof“ wäre, um bedichtet zu werden. So besticht das smarte Bändchen durch die unfassbare Kreativität bezüglich Themen, Situationen und Personen, die allesamt liebevoll und mit wortgewaltiger Sprachfreude literarisch verewigt werden.
Das Spektrum reicht vom Tanzreigen bekannter Philosophen zu einem snobistischen Orchesterdirigenten, von der evolutionären Verwandlung vom Ein- zum Appenzeller über des Fußballspielers empfindlichste Stelle bis hin zum allzeit gestrengen Herrn Fahrlehrer mit ausgeprägter Schwäche für Blondinen.
Sie alle sind dankbare Opfer der überschäumenden Fantasie von Rudolf Anton Fichtl. Ein Geschmacksvergleich zahlreicher Biersorten mit klarem Fazit, Mitleid mit einem Exhibitionisten im Winter, ein Kaufinteressent für den „Stein der Weisen“ auf einem Flohmarkt – nichts ist zu abwegig, um einem Gedicht die Ehre zu geben.
Ins Auge sticht zunächst die äußere Form der Texte. Völlig ungereimte, prosaisch-formlose Kurztexte finden sich neben Lyrik-Kunst in Feinschliff; kahle Wortgerüste extrem verknappter Vierzeiler neben Fast-Balladen mit 23 Strophen; daneben lassen ausgefeilte reim- und rhythmussichere Lang- und Kurz-Verse nie Monotonie aufkommen.
Markantestes Kennzeichen ist, dass alle vorstellbaren Reimformen spielerisch-virtuos variieren: Paarreime, Kreuzreime, umarmende Reime, sie alle sind geschickt themenbezogen gewählt. Manches Gedicht sorgt mit durchgehend identischen Reimen und reichlich Selbstironie für Heiterkeit wie: „gönnt sich anstatt Liszt Wein. / Da fällt mir nur noch Mist ein.“
Vom Rhythmus her wechseln sich jambische, trochäische und gezielt daktylische Verse munter ab, so dass niemals Langeweile aufkommt. „Janes Geburtstagsbankett“ wurde sogar in Sonettform gegossen, jene virtuos-barocke Gedichtform perfekt durchkonstruierter Gedankengänge – mit bewusst banalem Inhalt als Parodie auf diese gekünstelte Form.
Herausragendes Stilmittel ist dabei die Hyperbel, die bewusste Übertreibung, die häufig das Gegenteil des Gemeinten skizziert. Ob es das nervende „Permanentgedudel“ des Jazzers mit seinem „doofen Saxophon“ ist (der Autor liebt Jazz!), der fette Bauer, der stets besoffen Traktor fährt und nie blinkt, oder der Bademeister, der sich vom Nichtstun bis zum Ausruhen hangelt – liebevoll werden nicht auszurottende Vorurteile inszeniert, die jeder entlarven kann, der mag.
Steter Begleiter ist die Situationskomik: der Schnurrbart als heimlicher Mittrinker, das nach Patronenplatzen missglückte Tattoo, die heißgeliebte Freundin, die sich beim Essen ebenso als falsche Wahl erweist wie der (Ex-)Freund mit Mundgeruch; das gequälte Publikum des schräg tönenden Blasorchesters oder der Reebok-Jogger, der den Jägern erliegt. Die skurrilste Steigerung dieser Komik bietet jene Szene eines Verunfallten vor Petrus im Himmel.
Sprachakrobatische Herausforderungen – so die „Matrosenschutzhosenthrombosen“, die den „matrosenschutzhosenlosen Matrosen“ natürlich erspart bleiben, und auch „Artikulationsübungen für Nachrichtensprecher“ wie der „U-Bahn-Fund-Schund-Hund“ – liefern Zungenbrecher vom Feinsten.
Fast alle Gedichte leben entscheidend von ihrer Pointe, der überraschenden Wende im Text oder an seinem Ende. In der „Sushi-Bar in Dortmund“ wird alles und jedes ins Beliebige relativiert und so Strophe für Strophe zunehmend ad absurdum geführt – Nonsens pur. Auch durch geschickt manipulierte (bekannte) Zitate lässt sich dies erreichen, wenn etwa Casanovas Geheimrezept lautet: „Der Klügere gibt nach … dem Beischlaf einen aus.“
Fazit: Wer das Erstlingswerk von Rudolf Anton Fichtl in die Hand nimmt, erlebt auf jeder Seite von Neuem ungeahnte Überraschungen in Form, Sprache und Inhalt. Stets springt ihm die überschäumende Fantasie des Autors entgegen. Einmal begonnen, ist es schwer, sich aus dem Bann der Gedichte zu lösen und wieder zurück in den (tristen) Alltag zu tauchen. Denn zu bunt, zu komisch, zu skurril, zu herausfordernd ist Fichtls Welt – hinter der wohl niemand den „nüchternen“ Rechtsanwalt vermuten würde.
Man wird den Gedanken nicht los, dass das Büchlein keinen besseren Zeitpunkt für sein Erscheinen hätte finden können als jene Zeit der Pandemie, in der nüchterne Inzidenzwerte und täglich wechselnde Corona-Bestimmungen unserem Alltag oft die herzliche Lebensfreude rauben.
Wie befreiend wirkt da die sarkastisch und zynisch übertriebene Welt eines allzu menschlichen Narrenschiffs, die uns hier begegnet! In dem bunten Diorama gibt es keine Vorschriften, keine Regeln, keine Berührungsängste – die Gedanken werden befreit. Und gerade weil dies niemals aggressiv, beleidigend oder mit der Moralkeule geschieht, macht diese kleine Satire-Anthologie die Welt besser. Das Bändchen ist ein Glücksgriff. Besonders auch durch seine Perfektion des Unperfekten.
Roland Greißl, im November 2021