"Poetentreff"-Jubiläum ohne Siegfried Kyek
Trauer überschattete die Feierstunde
im "Autorenkreis Allgäu"
„Gott begräbt seine Arbeiter – aber er führt sein Werk fort.“ Wie oft ist uns der Ausspruch schon begegnet. Besonders nah war er uns bei der zweiten Festveranstaltung im Jubiläumsjahr des „Poetentreffs“, der vor 15 Jahren aus dem „Autorenkreis Allgäu“ hervorging. Im Frühjahr hatte der stets bescheiden auftretende Siegfried Kyek noch Ingeborg v. Rumohr als „Mutter Bavaria des Autorenkreises“ hervorgehoben. Jetzt hatte sie Gelegenheit, ihn auf ein Podest zu erheben. Denn der organisatorische Leiter war nur vier Tage vor der Feier verstorben. Das langjährige Leiden hat man dem stets fröhlich und dynamisch zupackenden Autor nicht angesehen. Viele wurden von seinem plötzlichen Tod überrascht. „Manchmal geht ein Mensch … leise, wie er gekommen“, resümierte Ingeborg v. Rumohr in ihrem Gedicht, und „du ahnst noch sein Wirken, sein Wesen, hörst herzhaftes Lachen auch“. Ja, so kannten wir ihn, und seinen 15 Jahre währenden Einsatz für die Gemeinschaft können wir nur ahnen. Er ermöglichte überhaupt diese Feierstunde.
Auch zum befreundeten 15-jährigen Landsberger Autorenkreis hielt Siegfried Kyek den Kontakt aufrecht. Dr. Boris Schneider gehört beiden Kreisen an. Im Poetentreff war er Gründungsmitglied, damals, 2004, als noch im Ganghofer-Café gelesen wurde. Selbstverständlich fand er sich zum Jubiläum ein, begleitet von der Landsberger Autorin Carmen B. Kraus und der Schongauerin Marianne Porsche-Rohrer.
Erfolgreich bewährten sich seit Jahren die Allgäuer Autoren: Isolde Unsin erhielt im Jahr des Wassers den 1. Preis bei einem internationalen Literaturwettbewerb, ihr Elfchen begeisterte unter mehr als 600 anderen Gedichten! Und Inifrau von Rechenberg weilte gerade in Wien, um einen Preis entgegenzunehmen. Der Büchertisch im Wintergarten des Hotels „Goldener Hirsch“ in Kaufbeuren quoll über von den Drucksachen der einzelnen Autoren, aber auch fünf Gemeinschaftswerke von Literaten aus dem Autorenkreis Allgäu sind bereits im Bauer-Verlag erschienen. Und druckfrisch lag nun auch die vierte Anthologie aus dem Landsberger Autorenkreis auf; Herausgeber dieser „Werkstattgespräche“ ist Dr. Boris Schneider.
Roland Dressler zupfte ein zweites, melancholisches Stück an der Gitarre und stimmte so auf die Lesungen ein. Ingeborg v. Rumohr und Ingrid Zasche lasen Gedichte von Siegfried Kyek aus den letzten Anthologien, „Du Seele mein“ und „Tautropfen im Spinnennetz“ – mit der berührenden Zeile „nur der Glaube stärkt meine Fäden“ – sowie „Geburt und Tod“, ein Gedicht zum Kreislauf des Lebens. Sie seien allen zur Nachlese empfohlen, beleuchteten sie doch besonders einfühlsam die zarte Wahrnehmung des Autors.
„A friend remains a friend in love – Ein Freund liebt allezeit, steht zu dir“, sang Roland Dressler und ließ auch Gitarre und Blues-Harp am Stimmungsbild mitwirken. Danach folgten eigene Texte der Autoren. Erstmalig wurde im Poetentreff spontan gelesen, die Reihenfolge völlig ungeplant. Zur Überraschung der Anwesenden funktionierte es wunderbar. Man griff ein Stichwort des vorher Lesenden auf und führte es weiter oder las thematisch Konträres – die Lesestunde wurde spannend und bereichernd.
Renate Peter las ein romantisches Gedicht von der Waldweihnacht im Tipi, „wenn sanft der Schnee vom Himmel schwebt“, die Eltern ebenso vermissend wie „Waldgeister, Trolle, lustig braune“. Mit Bäumen, die eine alte Weise rauschen, endete sie, was Isolde Unsin aufgriff, als sie sich in der Baumallee im Herbstwald auf die Spur des vergangenen Sommers begab.
Vom Besinnlichen ins Lebensfrohe wechselte Marianne Porsche-Rohrer mit ihrer „Gewürzkunde in aller Munde“, aus der sie den paradiesischen Kerbel herausgriff, den ihre Bärbel gern auch mit einem Glas Apfelwein kombinierte. Und wer kennt überhaupt noch Macis, die Muskatnussblüte? Aber ihr Aroma, das jenen besonderen Geschmack der Weißwurst ausmacht, erfreut nicht nur den Gaumen, sondern auch Milz, Leber und Magen. Es heißt, bei der Buchvorstellung am 25. Oktober wird ihr neues Buch mit gereimten Ratschlägen nach Hildegard von Bingen schon vorliegen …
Daraufhin lockte Ingrid Zasche mit „Komm, mein Kind, ’s ist Schlafenszeit“ weg von Smartphone, Legosteinen und Barbies hin zur Lesestunde des Vaters. Seine Kinder wünschten sich gern die Geschichte vom kleinen Riesen auf Riesenreise, gab Dr. Boris Schneider an, und als er sein Märchen vom Riesen Kieselsteinchen und dem Zwerg Langer Lulatsch gelesen hatte, die ihre Probleme gemeinsam aufs Vortrefflichste lösten, konnten die Zuhörer das gut verstehen.
Carmen B. Kraus sinnierte im Gedicht „Göttliches Spiel“ über die Zeit, die ewig lockend tropft und sich windet, unfassbar für alle Irdischen. Erst nach Gesinnungswandel neigt sie sich uns wohlwollend zu, doch nur ins Jenseits wechselnd können wir sie wirklich be-greifen. Diesen Schritt ging Cynthia Mace in „Nach dem Tode“: „Muss ich sie herbeiträumen, damit sie nicht gehen?“, fragte sie in den ewig währenden Fluss des Lebens hinein. Begeistert wurde sie gebeten, ihr Gedicht für die sechste Anthologie einzureichen, denn bereits zur 30-Jahr-Feier des Autorenkreises Allgäu am 4. Juli 2020 soll das Buch erscheinen.
Die fünf Aktiven im Autorenkreis Allgäu wurden vorgestellt: Ingeborg v. Rumohr und Ingrid Zasche als Doppelspitze, ferner Cynthia Mace, die den Kontakt unter den Autoren per E-Mail aufrechterhält wie einst Siegfried Kyek, verstärkt durch Doris Echterbroch und Robert Waloch.
Und dann wünschte man sich noch einen Apetizer von Marianne Porsche-Rohrer vor dem Essen. Sie erinnerte an die Lehre von Sebastian Kneipp, der überzeugt war: „Wenn du merkst, du hast gegessen, dann hast du schon zu viel gegessen.“ Das rechte Maß einhaltend, ließ er durchaus kleine Genüsse zu wie das Butterbrot. „Menschen leiden niemals Not, haben sie genügend Brot. Gibt man Butter drauf, ja dann fängt man zu genießen an.“ Dazu noch „ein Krügerl Wein“ … und die Autoren begrüßten es, dass der Wirt das dampfende Essen aus der Küche brachte.
Mit „Und doch“ ließ Robert Waloch noch ein paar Wortgefechte los. Zum Schreiben verurteilt, schrieb er Liebe und Hass in den feuchten Sand, Formen und Formloses. Zuhörer und Leser konsumierten es, leicht und amüsiert, und ihm war es nur recht, wollte er doch gehört werden.
PAUSE – Essen und Stöbern – Bücherkauf und Büchertausch – Begegnung und Gespräch – wie schnell sich eine halbe Stunde durchschlängelte … Schon lud der Barde swingend zur zweiten Runde: „Schweigen ist Silber, Spielen ist Gold“. Und was ist Lesen? Was ist Gemeinschaft? Ein Foto wert, meinte Ingrid Zasche und baute das Stativ auf, vor dem sich eine fröhliche Meute einfand.
Peter Würl hatte an diesem Abend nicht nur eine neue Sammlung kurioser Geschichten auf „Spurensuche im Allgäu“ dabei, sondern auch zwei wunderbare Hoffnungsgedichte in memoriam Siegfried Kyek: „Das Leben – ein Flatterding“, denn durch die Brüchigkeit des Seins gehen wir nach Hause. In „Metamorphose“ streifte sein Flug den Weg des Gefährten, wissend „ich bin in allem und alles ist in mir“.
Ein letztes Mal, so Ingeborg v. Rumohr, würde man am kommenden Donnerstag den Weg des Freundes streifen, bei der Aussegnungshalle am Waldfriedhof. Und Karl las noch ein Gedicht seiner Frau Isolde Unsin, „Gib deinem Gedicht ein Gesicht“. Das Antlitz von Siegfried Kyek schob sich vor, als sie Wort an Wort, Silbe an Silbe fügte, treibend auf dem schöpferischen See.
Mit „Ane blede Wette“, einem Vortrag in paurischer Mundart, „wu’s ock su vu klintschn Freschln wimmlt“, forderte Ingrid Zasche maximale Konzentration von den Zuhörern. Doris Echterbroch beschwor in „Erfüllung“, nichts zu versprechen, denn das Einhalten sei eine Morgengabe. In „Ratlos“ reflektierte sie lyrisch Liebe und Betrug, Wahres und Falsches, und deckte enttäuschtes Vertrauen im irritierten Herz auf.
Damit waren alle anwesenden Autoren zu Wort gekommen. In einer zusätzlichen Runde las Isolde Unsin von der kalten Sonne eines Lebens ohne Liebe, und Ingeborg v. Rumohr überschritt im Zeitraffersprung die Mitte des Lebens. Carmen B. Kraus erinnerte kurz an zwei Landsberger Autoren, die ihre Texte noch zur neuen Anthologie beigesteuert hatten, im 92. Lebensjahr aber verstorben sind und so das Erscheinen nicht mehr erlebt haben: Ida Rittner und Joachim Giebelhausen. Erstere beeindruckte mit aufrüttelnden „Friedenslicht“-Versen, Letzterer gab verschmitzt Interna zur Schöpfungsgeschichte „Aus dem göttlichen Terminplan“ preis.
Renate Peter mahnte, wachsam zu sein, damit keiner sich unsere Schatten untertan mache, denn „durch Erdulden hast du auch mitgetan“. Dr. Boris Schneider las sein klitzekleines, aber sehr rasantes Gedicht „Eine Zeitlang“ aus der neuen Anthologie vor, während Cynthia Mace in „Realität“ das Gebot des Schweigens thematisierte, damit das Licht Einlass findet, bevor uns graut. Schlussendlich ließ Robert Waloch alles gelassen „Geschehen“, auch jene Dinge, die uns verletzen können, uns zum Straucheln bringen. Ein Blick zum in einer Scherbe gespiegelten blauen Himmel ließe uns oft wieder zu vertrauensvollen Kindern dieser Welt werden.
Einen schöneren Schlusssatz hätte man nicht besser planen können. Begeistert wies die Moderatorin Ingeborg v. Rumohr noch auf die Spendenbox für Humedica hin und dankte allen, die zum Gelingen der Lesefeier beigetragen haben. 15 Jahre Poetentreff mit Texten von 15 Autoren – wird man das toppen können? Den 4. Juli 2020 am gleichen Ort nehmen die Autoren aus nah und fern als nächstes gemeinsames Ziel an – und als willkommene Herausforderung.
Bericht: Carmen B. Kraus