Freie Lesung Augenblick - 24.1.2020
Augenblicke: gelesen - erzählt - gehört - gesehen
Es war ein Experiment des Moderators Roland Greißl, den ersten Teil des Vortragsabends dem Lesen, den zweiten Teil dem Erzählen zu widmen.
Dreizehn Autoren begeisterten mit einer beeindruckenden Vielfalt an Augen-Blicken, beginnend mit Klaus Wuchners Wehmut, selbst keine Blicke der Augen mehr erleben zu dürfen („Ohne Licht ist nichts“), über Claire Guinins Rätsel des Augen-Blicks, der mit dem Schließen der Augen schon vorbei ist, über Lore Kienzls Glück, genau den richtigen Ton der Geige zu treffen, und Peter Burgers faszinierende Klänge eines unbekannten Gitarristen in Spanien, über Gerwin Degmairs Janus-Blick nach vorn und zurück, in dem alles im Glück fließt, und Carmen Kraus’ Momentaufnahme, dass der Augenblick die gesamte Fülle des Lebens beinhaltet.
Weiter ging es mit Thomas Glatz’ skurrilen Versuchen über die Erinnerung an kurze oder lange Augenblicke, wechselnd zu Heinz Otto Singers Fischernetz, das sich unbeirrt von der lockenden Sonne seiner Bestimmung zuwendet, hin zu Helmut Glatz’ wortspielreicher Ironie über verlorene und wartende Augenblicke. Rogo De Ville verknüpfte die Sehnsucht nach Liebe mit ihrer konkreten Begierde, und mit Theresa Schermers bleibenden Eindrücken des Kennenlernens ging es zurück zum Anfang einer Beziehung. Gastautor Detlev Möller ließ alle in seinem tiefen Gedicht über das Zwiegespräch des lyrischen Ichs mit einem fallenden Blatt auf dessen Wiedergeburt im Frühjahr hoffen. Barbara Koopmanns Erkenntnis der fehlenden Tiefenschärfe des Augenblicks und Martje Herzogs Therapiesitzung, die erst im letzten Augenblick die Chance auf Heilung offenbart, schlossen den ersten Teil ab, der das Publikum sehr begeisterte.
Im narrativen Teil entfaltete der spontane, oft gestenreiche Vortrag der Erzählenden eine ganz eigene Wirkung, der die Stimme jedes Einzelnen Nachdruck und Farbe verlieh: Peter Burgers unvergessliche Momente eines Filmdrehs von 1968 in eben diesen Räumen des Cafés FilmBühne, Monika Sadegors inneres Ankommen in Landsberg als neuer Heimat, Theresa Schermers Schwärmen von den „Urschreien“ ihrer zwei Buben, Rogo De Villes Erinnerung an eine tiefe Liebe und Barbara Koopmanns philosophische Betrachtung des Augenblicks bildeten den fröhlichen Teil der Erzählungen.
Klaus Wuchner erzählte vom bewegenden Moment einer drohenden Explosion seines Flugzeugs, Martje Herzog von der Begegnung mit einem Fremden, die eine schallende Ohrfeige einbrachte, und die Zuhörerin Hedwig Forte ließ uns spontan teilhaben an einem Telefonat, das sie mit dem unmittelbar bevorstehenden Lebensende einer Freundin konfrontierte. Daraufhin sprach Heidi Glatz von der kindlichen Freude über die Schönheit blühender Krokusse nach einem schweren Schicksalsschlag. Roland Greißl visualisierte mit einem Foto den Zufall: Zwei Stunden nach seinem Schnappschuss hatte in einer „Tatort“-Folge genau diese selbstfahrende Gondel als Fahrzeug des Mörders gedient.
Sowohl den Besuchern als auch dem Moderator hat die Kombination von Lesung und Erzählung, bei der es nie zu Langeweile kam, viel Freude gemacht.
Am Schluss stellte Detlev Möller, Pfarrer i.R., seine Pläne vor, Anfang März in der Säulenhalle seine Gedichte zu präsentieren, wobei vier Bürgermeisterkandidaten Texte lesen und sich zu ihrer Kulturförderung in Landsberg äußern werden. Und Martje Herzog kündigte für die Faschingslesung am 7. Februar das Thema „Büttenreden“ an.
Roland Greißl