Anthologie, die Vierte - 17.11.2019
„Werkstattgespräche“ aus dem Landsberger Autorenkreis
Den Schlag der nahen Kirchturmglocke um 15 Uhr hörte keiner, so angeregt waren die Gespräche im Foyer des evangelischen Gemeindehauses. Und immer noch strömten sie herein: Menschen, die wissen wollten, was Autoren aus dem Landsberger Raum zu Papier bringen, Freunde und Bekannte der Autoren oder auch diejenigen, die trotz 15-jähriger Aktivität das erste Mal zum Landsberger Autorenkreis kamen. Max Dietz, der Organisator des Autorenkreises, begrüßte sie alle herzhaft knapp und charmant und ließ dann vor allem den Schirmherrn zu Wort kommen.
Kopffitness, sagt die Wissenschaft, sei das regelmäßige Aufnehmen von Neuem, es hält die grauen Zellen auf Trab. Toleranz, mahnt die Psychologie, soll man üben in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Meinungen. Dem Leben mehr Tiefe geben will die Kunst, die sich ja auch mal in Worten ausdrücken kann. „Werkstattgespräche“, sagt Franz-Xaver Rößle, der kunstaffine Alt-Oberbürgermeister von Landsberg, gibt es schon seit 1962. Und zum Erstaunen der Anwesenden stellt er in seiner Ansprache jenes Fachbuch von Horst Bienek neben den soeben herausgegebenen Sammelband aus Landsberg. Jene waren „Werkstattgespräche mit Schriftstellern“ und erfuhren einen, wie er sagt, wunderbaren Verriss von Walter Böhlich. Folgt nun auch ein Verriss der neuen? Diese seien eher „Werk-Stadtgespräche“, und nur das Vorwort des Herausgebers Dr. Boris Schneider vermag zu beleuchten, warum das Buch einen solch handwerklichen Titel trägt.
Einen Lyrikwettbewerb habe er, Rößle, bereits in seiner Amtszeit unterstützt und zusammen mit Ali Nasseri, Albert Ostermeier und mit dem umstrittenen Poesieautomaten von Hans Magnus Enzensberger versucht, Landsberg als Literaturstadt herauszuheben. Nur der Poetry Slam sei jedoch geblieben, und kurz darauf entstand der Autorenkreis. In aller Bescheidenheit, wie sein Gründer Helmut Glatz betont, der die Entstehungsgeschichte im Jahr 2004 noch einmal aufleben lässt.
Franz-Xaver Rößle aber erinnert sich gern an Konzerte in diesem Gemeindehaussaal, an Lesungen zur Stadtgeschichte und zu Dominikus Zimmermann, an die Verabschiedung von Pfarrer Detlev Möller, der selbst der Literatur sehr nahe steht. Wenn Rößle an den Autorenkreis denkt, fallen ihm Herbert Regele ein und ein wunderbares Stück Lokalliteratur von Helmut Glatz in Band 2 der Anthologien. Nun also die vierte. Es ist der umfangreichste aller Sammelbände aus dem Landsberger Autorenkreis, der dritte von Carmen Kraus gesetzte und lektorierte. Rößle seufzt, er habe nicht geahnt, wie schwer es ist, das Werk von 33 Autoren auf 341 Seiten zu erfassen. Und er zollt dem Herausgeber Respekt für seine Auswahl und die Anordnung. Keine Gespräche und Interviews wie bei Bienek seien es, nicht wie dort kategorisiert nach Ballade, Sonett, Reim, Prosa, Essay.
Hier leiten Themen die Kapitel an, die von den Autoren im Entstehen ihrer Texte behandelt und geformt wurden: Alles im Fluss, Zeit, Raum, Stein, Drachen, Karussell, Gedankensprünge, Interpretierbare Lyrik … Wie bitte? Ausprobieren!, rät Rößle und gibt gleich eine Kostprobe mit dem Gedicht „Verkorkst“. Dann folgen weitere, auch ein von ihm mit sechs A bewertetes und das spitzbübische „Was ist Tang?“, das in dem Vers mündet: „Drum, dies Wort, ich brauch es nicht. Höchstens heut, für dies Gedicht.“ Vieles braucht man nicht, aber es macht das Leben schöner, leichter und befriedigt die Neugier. Wenn er diese im Zuhörer geweckt habe, dann sei seine Aufgabe als Schirmherr erfüllt: „Mehr geht nicht. Viel Spaß beim Lesen und Entdecken. Und Verkaufen. Und Weiterschreiben.“
Seine Schlussworte und die euphorische Stimmung im Raum griff Richard Eitel auf und schmetterte einen jazzigen Applaus in die Tasten des Flügels. Noch mehr virtuose Improvisationen bot er zwischen den kurzen Lesungen von 21 Autoren, die damit die Vielfalt des Schreibens im Autorenkreis skizzierten. Mehr ging nicht in zwei Stunden, meinte Max Dietz zur Verabschiedung. Mit glänzenden Augen strömten die Zuhörer in den Sonntagabend. Einige mit dem Buch unter dem Arm, dessen Umschlag Doris Spang-Oberhofer und Franz Oberhofer mit einem tatkräftigen Bild aus einer (Wörter-)Schmiede gestaltet haben. Oben ein roter Stern. „Per aspera ad astra“ hat sich der junge Verlag Aspera* zum Motto gesetzt. Durch den Sturm hoffnungsvoll zu den Sternen. Zwei Autoren dieses Buches sind bereits dort angekommen, Ida Rittner und Joachim Giebelhausen, je im 92. Lebensjahr. Ihre Werke bleiben und sie halten uns auf Trab. Sei es im göttlich satirischen Terminplan zur Erschaffung der Welt oder in der Mahnung zum Frieden, dem höchsten Gut, das wir Menschen brauchen.
Carmen B. Kraus
Fotos von Thomas Glatz, Roland Greißl, Sandro Wirth und Peter Würl